Digitaler Unterricht per Videochat und seine Folgen
Beim Homeschooling über das Internet sitzen Lehrer und Schüler räumlich getrennt voneinander vor ihren Laptops und Tablets. Das Potenzial für Unterrichtsstörungen ist dabei enorm und kann in drei Bereiche unterteilt werden:
- Störungen durch die Schüler selbst.
- Störungen durch das Umfeld der Schüler (Eltern, Geschwister, etc.)
- Störungen durch Außenstehende.
Für Lehrer ist es nicht immer leicht, mit diesen Störungen umzugehen. Schließlich sind sie beim Thema Homeschooling genauso unerfahren wie ihre Schüler. Am besten ist, für alle Beteiligten von Anfang an klare Regeln aufzustellen. So lassen sich viele Störungen von Anfang an vorbeugen.
Typische Störungen durch Schüler
Technisch versierte Schüler wissen die Möglichkeiten moderner Videokonferenztools oft besser auszunutzen als ihre Lehrer. Entsprechend groß ist ihre Kreativität, wenn es darum geht, den digitalen Unterricht zu stören. Typische Beispiele:
- Angeblich "versehentliches" Stummschalten der Lehrer.
- Angeblich "versehentliches" Löschen des digital geschickten Unterrichtsmaterial.
- Weigerung der Schüler, die Kamera einzuschalten.
- Geschicktes Manipulieren der Unterrichtsmaterialien um Lacher zu erzeugen.
- Ablenkung der Mitschüler durch ungewöhnliche Hintergrundbilder.
- Ablenkung der Mitschüler durch Herumspielen mit dem Haustier.
Daneben haben Schüler natürlich noch viel mehr Freiheiten als im Klassenzimmer. Sie können (theoretisch) alle fünf Minuten die Toilette aufsuchen, zum Kühlschrank gehen, usw. Darum sollten Sie als Lehrer einige Grundregeln festlegen und deutlich machen, dass Nichtbeachtung der üblichen Regeln im Klassenzimmer genauso bestraft wird, wie im regulären Präsenzunterricht.
Fünf Goldene Regeln für das Homeschooling
Platzwahl
Der Platz für den Laptop/das Tablet sollte eine möglichst ruhige Ecke mit Tisch und Stuhl sein. Wenn ein Schüler kein eigenes Zimmer hat, dann eine möglichst abgeschirmte Ecke in der Küche oder im Wohnzimmer.
Materialien
Neben dem Laptop sollte genug Platz für die üblichen Unterrichtsmaterialien wie Bücher, Hefte und Stifte sein.
Vorbereitung
Vor Unterrichtsbeginn sollte jeder noch einmal die Toilette aufsuchen, eventuell einen Snack essen und sich etwas zu trinken holen – ähnlich wie in der Schulpause.
Klassenregeln
Hat der Unterricht einmal begonnen, gelten die normalen Klassenregeln. Wer etwas sagen möchte, meldet sich durch das Heben der Hand. Nur der Schüler, der vom Lehrer drangenommen wird, schaltet das Mikrofon ein und leistet seinen Beitrag.
Mikrofon
Alle anderen Mikrofone bleiben solange stumm und die Schüler lenken nicht durch Grimassen schneiden oder „Faxen machen“ ab.
Für Lehrer ist es unverzichtbar, dass sie mit dem jeweils verwendeten Videokonferenztool umgehen können. Auf keinen Fall sollten Sie einen technischen versierten Schüler mit der Organisation betrauen, denn er könnte dies zu seinem Vorteil nutzen und Störungen bewusst herbeiführen.
Als Lehrer sollten Sie grundsätzlich Leiter der Stunde sein. Als solcher können Sie die Mikrofone und/oder Kameras anderer Teilnehmer stummschalten und einem Störer das Heft aus der Hand nehmen. Wenn keiner mehr seine Grimassen sehen oder Zwischenrufe hören kann, verliert er schnell die Lust daran. Verzichten Sie aber darauf, den Schüler ganz herauszuwerfen – er wird dies möglicherweise als Belohnung empfinden, weil er dann im Internet anderen Dingen nachgehen kann, während seine Eltern glauben, er nähme am Unterricht teil.
Was tun, wenn Schüler die Kamera nicht einschalten?
Problematisch kann es sein, wenn Schüler ihre Kamera nicht einschalten wollen. Wer kann ihnen nachweisen, dass es nicht tatsächlich an technischen Problemen liegt? Ein kleiner Trick kann helfen: Fordern Sie Ihre Schüler auf, Zeichnungen, Diagramme, etc. in die Kamera zu halten. Dazu kann es die Spannung der ungewohnten Kommunikation brechen, indem Sie Schülern erlauben, private Dinge vorzustellen. Dies kann ein Kuscheltier sein, ein echtes Haustier oder eine Bastelarbeit, auf die sie sehr stolz sind. Haben sich die Schüler an die Präsenz der Kamera gewöhnt und gemeinsam gelacht, fällt die Nutzung wesentlich leichter.
Gerade in den frühen Morgenstunden kann es manchmal auch gut sein, die Schüler gewähren zu lassen. Die meisten Videotools bieten eine schriftliche Chatfunktion neben dem eigentlichen Bild an. Solange sich der Schüler hier alle paar Minuten zu Wort meldet und damit deutlich ist, dass er oder sie zu Hause am Laptop präsent ist, kann ihm ruhig einmal das Recht eingeräumt werden, die blasse Morgenhaut oder die strubbeligen Haare vor der Klasse zu verbergen.
Sprechzeiten anbieten
Im Präsenzunterricht ist es für Schüler kein Problem, den Lehrer nach der Stunde kurz privat anzusprechen. Im Online-Unterricht ist dies schwieriger. Öffnen Sie einen speziellen Nachrichtenkanal im Tool (oder einen zweiten Kommunikationskanal wie WhatsApp), in dem Sie Schülern die Möglichkeit geben, privat um ein kurzes Gespräch zu bitten. Natürlich können Sie diese Option auch umgekehrt nutzen und das private Gespräch mit einem Schüler suchen.
Verweigert der Schüler häufiger die Kamera oder behauptet er, verschiedene Unterrichtsmaterialien nicht öffnen zu können, hilft Ursachenforschung. Möglicherweise liegt tatsächlich ein technisches Problem vor und die Eltern sind genauso überfordert wie der Schüler.
Möglicherweise schämt sich der Schüler für die (in seinen Augen) hässliche Umgebung der elterlichen Küche, in der er während des Homeschoolings sitzen muss. Erklären Sie ihm, wie er einen virtuellen Hintergrund einstellt – und schon könnte das Problem vielleicht gelöst sein.
Onlineexperte und Netzlehrer Bob Blume hat einen lesenswerten Blog mit weiteren Tipps zum Umgang mit Online-Störungen verfasst.
Wenn Eltern und Geschwister stören
Die Schüler sind während des digitalen Unterrichts nur selten alleine zu Hause. Geschwister sind ebenfalls zu Hause und häufig arbeiten auch die Eltern (oder ein Elternteil) im Homeoffice. Nicht jedes Kind ist der Lage, alleine ungestört in seinem Kinderzimmer zu sitzen. Und selbst dann kann es vorkommen, dass Geschwister oder sogar Eltern hereinplatzen.
Wichtig ist darum eine gute Kommunikation vor allem mit den Eltern. Diese sollten beispielsweise darauf achten, dass das Kind nicht neben dem Unterricht am Laptop mit dem Smartphone herumspielt oder ständig das Haustier zu sich ruft. Mischt sich ein Vater oder eine Mutter in den Unterricht ein, sollten sie freundlich aber fest gebeten werden, dies zu unterlassen. Rufen Sie die Eltern aber nicht vor laufendem Unterricht (mit zahlreichen Mithörern) zur Ordnung. Kontaktieren Sie sie privat nach der Unterrichtsstunde.
Laufen jüngere Geschwister immer wieder ins Bild, sollten Sie Nachsicht walten lassen. Gerade kleinere Kinder mit ihrem starken Bewegungsdrang und ihrer Lust am gemeinsamen Spielen leiden enorm unter den aktuellen Einschränkungen. Eltern, die gleichzeitig versuchen, im Homeoffice zu arbeiten, können nicht permanent zwei oder mehrere Kinder beaufsichtigen.
Manchmal hilft nur Strafe
Leider hilft bei extrem renitenten Eltern manchmal auch nur Strafe. So schlug ein Fall in Hamburg hohe Wellen, in dem ein Vater seine minderjährige Tochter zwang, ein eigentlich vertrauliches Gespräch mit der Lehrerin mithören zu dürfen. Als die Abhöraktion aufflog, zeigte die Lehrerin den Vater an und erhielt vom Gericht recht: Er musste 1750 Euro Strafe zahlen. Scheuen Sie sich nicht, Eltern deutlich zu machen, dass das Homeschooling so zu behandeln ist wie Präsenzunterricht: Eine elternfreie Zone, in der Kinder und Jugendliche Selbständigkeit lernen.
Zoombombing: Störungen von außen
Zu Beginn des Homeschoolings häuften sich Berichte, wonach Unbekannte Videochats kaperten und den Unterricht störten. Sie schlossen Lehrer von der Konferenz aus und spielten sogar pornografisches oder gewaltverherrlichendes Material ein. Meist steckten jedoch keine Hacker dahinter. Schüler hatten die Login-Daten zum Videochat an Dritte weitergegeben, damit diese ganz bewusst den Unterricht störten.
Für Störungen von außen hat sich die Bezeichnung Zoombombing (nach dem beliebten Videokonferenztool Zoom) etabliert. Zoombombing kann die unterschiedlichsten Videokonferenzen vom Schulunterricht bis zur geschäftlichen Tagung treffen und erschreckende Ausmaße annehmen. So störten Rechtsradikale im Frühling 2020 ein virtuelles Gedenken an die Opfer des Holocaustes, indem sie Bilder von Adolf Hitler einblendete.
Dabei lässt sich Zoombombing relativ leicht verhindern. Die wichtigsten Regeln:
Die Links zum Login dürfen niemals offen im Internet geteilt werden, wo sie jeder sehen kann. Verschicken Sie Links grundsätzlich nur über normale E-Mails (mit Verschlüsselung) oder über Textnachrichtendienste wie WhatsApp, die Nachrichten mit End-to-End-Verschlüsselungen versenden.
Richten Sie einen virtuellen Warteraum ein. In diesem treffen sich die Teilnehmer und werden von Ihnen einzeln freigeschaltet. So kann kein Unbekannter in den Raum dringen.
Ernennen Sie niemals Schüler zu Moderatoren oder Organisatoren, die das Recht haben, andere in die Videokonferenz einzuladen. Behalten Sie die Zügel stets selbst in der Hand.
Zoom selbst hat mittlerweile eine Pausenfunktion eingeführt. Sollte es doch einmal ein Zoombomber in Ihren Unterricht geschafft haben, können Sie den Unterricht sofort pausieren und den unerwünschten Teilnehmer melden. Im Ernstfall kann Zoom die IP des Störenfrieds ermitteln und sogar rechtliche Schritte unternehmen.
Noch besser ist es natürlich, wenn Sie eine Videokonferenzplattform verwenden, bei der grundsätzlich nur registrierte Schüler einloggen können, zum Beispiel Moodle oder ein anderes in Ihrem Bundesland zugelassene, datenschutzkonforme Videokonferenztool.
Zu guter Letzt: Schrauben Sie die Erwartungen an das Distanz- oder Wechselunterricht herunter. Der deutsche Perfektionismus stößt in der aktuellen Lage an seine Grenzen.
Lesetipp
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Linksammlung
- Bob Blume: Digitale Unterrichtsstörungen
- Spiegel Online: Vater belauscht Gerspräch seiner Tochter
- Datenschutzexperte: Zoombombing
- Spiegel Online: Antisemiten stören Schoa-Gedenken
Bildnachweis
- Titelbild: Sergii Sobolevskyi / Shutterstock.com
- Junge vor Laptop beim Digitalunterricht: Fam Veld / Shutterstock.com
- Jugendlicher mit Textmarker vor PC: William Ivan / Unsplash
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