Deutsche Schüler sind gute Teamplayer
Eine positive Nachricht vorweg: In der letzten Pisa-Studie aus dem Jahr 2017 landeten die deutschen Schüler in der Disziplin „Kollaborative Problemlösekompetenz“ in der Top Ten. Dennoch bedeutet dies nicht unbedingt, dass deutsche Schulen bei der Gruppenarbeit besonders gut abschneiden. Im Gegenteil: Erst kürzlich rehabilitierte das Münchener Ifo-Institut im Rahmen einer großen Untersuchung den Frontalunterricht. Die Studie kam zum Ergebnis, dass 10 Prozent mehr Frontalunterricht einem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung entspricht. Der Schlüssel zum Erfolg liegt, wie nicht anders zu erwarten, beim Lehrer: Eine kompetente Lehrkraft, die Gruppenarbeit optimal einsetzt und aktiv begleitet, kann mit dieser Sozialform große Erfolge feiern. Die meisten anderen Pädagogen fahren besser mit Frontalunterricht.
Je älter die Schüler, umso besser die Gruppenarbeit
Der Erfolg der Gruppenarbeit hängt von vielen Faktoren ab. Zumindest in einem Aspekt sind sich Bildungsforscher heute einig: Bei älteren Schülern ist Gruppenarbeit sinnvoller als bei jüngeren Schülern. Diese sind mit zu viel Selbständigkeit und Freiheit in der Regel noch überfordert. Sie brauchen den Lehrer als Motivator, der sie tagtäglich aufs Neue ermutigt, Feedback gibt und immer wieder neue Aufgaben stellt.
Bleiben die Schüler sich selbst überlassen, kommt es zu den Problemen, mit denen Gruppenarbeit typischerweise assoziiert wird: Der schreibstarke Schüler macht die eigentliche Arbeit, der Hochbegabte mit breitem Wissen sorgt für Input und der schwächere Schüler klinkt sich geistig aus. Der Grundsatz „keinen Schüler zurücklassen“ verkehrt sich so ins Gegenteil.
Erfolgreich ist Gruppenarbeit vor allem bei Schülern der gymnasialen Oberstufe. Sie sind selbständig genug, um die Arbeit effizient zu organisieren und darauf zu achten, dass alle Gruppenmitglieder aktiv mitarbeiten. Sie begreifen die selbständige Arbeit meist auch als willkommene Vorbereitung auf das Studium, in dem sie noch weit mehr Wissen selbständig erarbeiten müssen.
Fazit: Je älter die Schüler, umso größer sollte der Anteil der Gruppenarbeit am Unterrichtsmix ein.
Der Lehrer und die Gruppenarbeit
Damit Gruppenarbeit funktioniert, sollte der Lehrer einige Grundsätze beachten. Bildungsforscher Hilbert Meyer formulierte dies wie folgt:
- Der Lehrer muss beobachten, abwarten und zuhören können.
- Den Schülern muss Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden.
- Bei Bedarf müssen sie ermutigt und motiviert werden.
- Der Lernprozess ist so wichtig wie das Ergebnis: Auch Umwege und Irrwege müssen zulässig sein.
- Der Lehrer muss in der Lage sein, Kontakte herzustellen und Materialien aufzuarbeiten.
In der Praxis bedeutet dies: Der Lehrer darf sich während der Gruppenarbeit nicht in eine Ecke zurückziehen und anderweitig beschäftigen, während die Schüler ganz auf sich alleine gestellt sind. Er muss stets ansprechbar sein, die Stimmung innerhalb der Gruppen prüfen, Anregungen geben und motivieren können.
Weiterhin verlangt Gruppenarbeit dem Lehrer mehr Vorbereitung ab. Sollen die Schüler außerhalb des Schulgeländes recherchieren (z.B. in Büchereien, öffentlichen Einrichtungen oder Unternehmen) muss der Lehrer in der Lage sein, entsprechende Kontakte anzubieten. Dies können Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit sein, die den Schülern als direkte Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Hilbert Meyer verweist außerdem auf Dinge, die der Lehrer bei Gruppenarbeit explizit vermeiden sollte:
- Die Arbeit an sich zu reißen und zu enge Vorgaben machen
- Den eigenen Wissensvorsprung ständig demonstrieren
- Druck beim Arbeitstempo machen
- Sämtliche Probleme sofort besprechen zu wollen.
Anders gesagt: Die Gruppenarbeit muss über einen entsprechend langen Zeitraum geplant werden. Die Schüler müssen die Möglichkeit haben, Irrwege einzuschlagen und diese selbständig zu korrigieren. Kommt es zu Streitereien, müssen diese eigenständig gelöst werden.
Fazit: Der Weg ist das Ziel. Die Prozesse sind so wichtig wie das letztendlich erarbeitete Wissen.
Kooperatives Lernen als Idealform der Gruppenarbeit
Bleibt die Frage, welches Nutzen Schüler aus der Gruppenarbeit ziehen. Dabei muss zwischen der klassischen Gruppenarbeit und dem sogenannten kooperativen Lernen, das sich als weiterentwickelte verbesserte Form etabliert hat:
- In der klassischen Gruppenarbeit agieren die meisten Schüler egozentriert: Für sie zählt nur die eigene Note, nicht die des Teams. Beim kooperativen Lernen übernehmen die Schüler Verantwortung für alle: Als Endergebnis zählt die Note der Gruppe.
- Die Schüler "Lernen durch Lehren": Sie vermitteln einander im Rahmen der Gruppenarbeit neues Wissen. Davon profitieren lernstarke UND lernschwache Schüler.
- Schüler empfinden die Kleingruppe als Schutzraum, in dem sie entspannter lernen als im Plenum, bzw. im direkten Kontakt mit dem Lehrer.
Lesetipp
Wie kann der Lehrer erfolgreiche Gruppenarbeit auf Basis des kooperativen Lernens gestalten?
Beim kooperativen Lernen zählt jede individuelle Leistung. Für den Lehrer bedeutet dies eine intensive Vorbereitung. Gruppen werden bewusst heterogen zusammengesetzt, damit die Schüler unterschiedliche Stärken einbringen können. Angenehmer Nebeneffekt: Schüler, die sonst kaum Kontakt zueinander haben, lernen einander besser kennen. Die typischen Cliquen werden aufgebrochen, Außenseiter finden Anschluss und Akzeptanz.
Während der Gruppenarbeitsphasen muss der Lehrer die soziale Kompetenz sanft steuern. Schüler müssen lernen, einander zuzuhören, sich gegenseitig zu motivieren und zu helfen. Dazu steckt der Lehrer bestimmte soziale Ziele, die am Ende der Gruppenarbeit erreicht werden müssen.
THINK-PAIR-SHARE
Sehr beliebt ist innerhalb des kooperativen Lernens der THINK-PAIR-SHARE genannte Dreisatz:
- In der THINK-Phase erarbeitet jeder Schüler seinen eigenen Teil der Aufgabe selbständig.
- In der PAIR-Phase tauschen sich zwei Schüler innerhalb der Gruppe in Paaren aus. So erhalten sie Feedback und helfen einander gegenseitig bei der Fertigstellung.
- In der SHARE-Phase teilen die Paare ihre Arbeit mit dem Rest der Gruppe. Gemeinsam wird nun die Präsentation erarbeitet.
Ein Beispiel für Gruppenarbeit zur Vorbereitung einer Klassenfahrt
In der Vorbereitungsphase plant der Lehrer heterogene Gruppen und teilt jeder ein Thema zu, z.B. die Geschichte der Zielregion, die Geografie und die natürlichen Gegebenheiten und die Thematik ausgewählter Museen. Hat die Gruppe das Thema „Geschichte“ erhalten, erarbeitet jeder Schüler zunächst für sich in der THINK-Phase eine bestimmte Epoche der Geschichte. In der PAIR-Phase tauschen sich zwei Schüler aus und stellen z.B. die Verbindung von Mittelalter und Renaissance her oder Revolutionen im 18./19.Jahrhundert zum 20. Jahrhundert. In der abschließenden SHARE-Phase fügen sich alle Epochen zu einer Präsentation zusammen.
Gruppenarbeit als wertvolle Ergänzung
Abschließend lässt sich sagen: Sorgfältig organisiert und kompetent durchgeführt, ist die Gruppenarbeit ein wertvoller Bestandteil des Methoden-Mix im Unterricht. Lehrer dürfen sich nicht dazu verleiten lassen, die Schüler komplett sich selbst zu überlassen und die Unterrichtsstunden der Gruppenarbeit als Freifahrtschein für andere Aktivitäten wie Korrekturen und Unterrichtsvorbereitung zu nutzen. Werden die Schüler gut anleitet und immer wieder motiviert, ist die Gruppenarbeit der ideale Weg zur Entwicklung sozialer Kompetenzen und zur Stärkung des Teamgeistes.
Weitere Informationen zu den Sozialformen
Linksammlung
- ZEIT-Online: Sollen Schüler ihre Kompetenzen allein erarbeiten?
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: Frontalunterricht macht klug
- OECD Programme for International Student Assessment (PISA): Kollaborative Problemlösekompetenz
- Hilbert Meyer: Unterrichtsmethoden II: Praxisband. Frankfurt a. M.: Cornelsen Scriptor 1991
- Bundeszentrale für Politische Bildung: Think-Pair-Share
Bildnachweis
- Blick auf junge Erwachsene: George Rudy/ Shutterstock.com
- Lehrer erklärt Gruppenarbeit: Monkey Business Images/ Shutterstock.com